„Hä, das ist doch nicht Lena!“, denke ich nach den ersten drei Tracks des neuen Albums. Aber sie ist es, obwohl ich es auch bei den folgenden elf Titeln nicht glauben mag. Die neue Platte Crystal Sky kommt als stilistische Überraschungswelle angeschwemmt. Nach einem relativ starken Intro, in dem sie lyrisch „No one is ready for the girl“ singt (und wahrscheinlich auch meint), kommt man anschließend nicht mehr richtig mit. Ziemlich unerwartet, aber nicht so wie wir Lena kennen. Zart, modern und ein bisschen melancholisch. Dazu eine kleine Prise unglaubwürdige und überproduzierte Leidenschaft.
von Carina Kaiser
Crystal Sky – gefällig und modern
Die Gute klingt – anders als in den vorhergegangenen drei Alben – irgendwie gefällig und gewollt modern. Ihre Satellite-trällernde Kinderstimme scheint sich für immer in die Kanalisation verabschiedet zu haben. Was stattdessen zum Vorschein kommt riecht gewaltig elektronisch. Kaum unterscheidbar von den ganzen Mainstream-Radiohits. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Imagewechel, Lena. Du bist offiziell nichts Besonderes mehr.
Lenas Stimme und Auto-Tune gehen in Crystal Sky jetzt Hand in Hand
In Crystal Sky kommt alles aus einem Guss. Zu hören sind bekannt klingende Popmelodien mit Synthesizer, Hall und hymnisch-elektrischen Klängen. Keine stilistische Neuerfindung der Musik, aber eine interessante Neuausrichtung ihres Erzeugers. Lena hat ihre unverwechselbare Stimme, welche ihr u.a. den ESC-Sieg 2010 eingebracht hat, gegen einen Auto-Tune-Laster eingetauscht. Und der fährt immer und immer wieder über ihren Gesang. Kein guter Tausch in meinen Augen.
Crystal Sky: So klingt Selbstverwirklichung in der Popwelt
Songwriter Jonny Coffer (Sam Smith, Emeli Sandé) und Producer-Team BIFFCO (Ellie Goulding, Kylie Minogue) haben ihr Augenmerk wohl hauptsächlich auf die Nachbearbeitung von Lenas Stimme gelegt. Ob es so klug war, sich BIFFCO für die Platte zu angeln? Auf jeden Fall klingt Lena, dank Katzen- und Chipmunk-ähnlicher Stimmdopplung, nicht nur unerträglich, sondern vor allem nach Ellie Goulding höchstpersönlich. Aber den Vergleich wollen wir Lena zugute besser nicht auf die Spitze treiben.
Überproduzierte Kristalle – In Crystal Sky gibts Leidenschaft aus der Dose
Übrigens gilt Gesagtes ebenso für Artwork und Musikvideo. Das schwarz-weiße Cover von Crystal Sky, scheint wie ein Blick durch ein Kaleidoskop. Auf der LP wird Lena mit leidenschaftlich-verträumtem Ausdruck, nassen Haaren und geschlossenen Augen spiegelhaft versinnbildlicht. Und auch im Musikvideo zu der Singleauskopplung Traffic Lights, das Anfang Mai erschienen ist, vereinen sich zeitgemäße Bewegtbilder im Vintage-Look mit Tanzeinlagen a lá Ed Sheeran. Gewagt ist das nicht wirklich.
Wer Lena Meyer-Landrut bisher nicht mochte, könnte von neuen Seiten und Klängen positiv überrascht werden. Nach mehrfachem Hören macht das Album zwar auch mir dann endlich Freude, ist schlussendlich aber doch nicht ganz mein coup of tea.
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Stärkste Tracks:
The Girl, Keep On Living, Traffic Lights, Lifeline, Home
Fotos © Universal Music
Carina Kaiser ist gebürtige Kölnerin und leidenschaftliche Frühaufsteherin. Ihre Liebe für die Domstadt teilt sie seit 2014 auch mit Berlin, wo sie spezialisiert auf Journalismus & PR ihrem Medienmanagement Studium nachgeht, Ballett tanzt und gerade ein neues Hochschulradio mitbegründet. Ihre “skurrilste” Angewohnheit (neben dem Kölner Karneval): Egal wo sie hingeht, sie hat immer die NEON dabei.